Wo das Leben endet - und beginnt! Biodiversität am Friedhof

21.12.2021, BaF Team
Wie viel Leben gibt es nach dem Tod? Dieser Frage geht seit April 2021 das Forschungsprojekt "BaF - Biodiversität am Friedhof" der Universität Wien nach und erforscht die Artenvielfalt auf Friedhöfen.

Tod und Trauer - das ist wahrscheinlich die vorherrschende Assoziation der Allgemeinbevölkerung zu Friedhöfen. Das nebenher auf den Friedhöfen aber auch eine Fülle an tierischen, pflanzlichen und pilzigen Bewohnern existiert, beweist das Team rund um Projektleiter Thomas Filek mit seinen Aufzeichnungen zum Artvorkommen auf den heimischen Friedhöfen. Regelmäßig werden Begehungen auf Wiener Friedhöfen durchgeführt, um die dortige Artenvielfalt zu erfassen. Mit insgesamt 57 Friedhöfen alleine auf dem Stadtgebiet Wiens gibt es somit naturgemäß einiges zu erforschen und zu dokumentieren.

Eine Übersicht über die Friedhöfe Wiens

Friedhöfe erfüllen als kulturell verankerte Orte des Totengedenkens eine wichtige Funktion, als Orte der Ruhe werden sie gleichzeitig zu einem Lebensraum und Refugium für unterschiedlichste Lebewesen in einer rasant wachsenden urbanen Umgebung. Das macht die Friedhöfe zu interessanten Forschungsobjekten in der zunehmenden Urbanisierung Europas. Am Friedhofsgelände ist es aufgrund des Gebots der Pietät ruhig und das Gebiet ist zumindest teilweise stetig begrünt und bepflanzt. Auch ist ein Großteil der Friedhöfe abseits der Öffnungszeiten für die Öffentlichkeit unzugänglich, wodurch tierischen Friedhofsbewohnern echte Ruhephasen ermöglicht werden, was Friedhöfe von anderen parkartigen Flächen unterscheidet. Friedhöfe sind dabei nicht wie viele andere Gebiete durch Versiegelungen bedroht und bieten daher langfristige Zufluchtsorte. Hervorzuheben ist auch ihre Bedeutung als Trittsteinbiotope, also kleineren Biotopinseln, welche besonders den niederen Vertebraten, aber auch Insekten und Weichtieren (bspw. Schnecken)als Brücken dienen, um so eine weitflächige Besiedlung des urbanen Raums zu ermöglichen. Die Schutzmöglichkeiten solcher Areale und Habitate sind nicht annähernd ausgeschöpft und zeigen das Potential von Friedhöfen als Untersuchungsgebiete auf.

 

Besucher:innen von Friedhöfen erfreuen sich neben dem Grabbesuch schon lange an Naturbegegnungen und Sichtungen seltener Tiere, eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Diversität ist aber auf den österreichischen Friedhöfen bis heute nicht erfolgt. Genau das möchte BaF mit der Beteiligung von Citizen Scientists gerne ändern: Es soll die tatsächliche Biodiversität aller biologischen Erscheinungsformen auf Friedhöfen beschrieben werden.

Der Feldhamster (Cricetus cricetus): Ein neugieriger Friedhofsbewohner.

Als beliebtes Fotomotiv haben die Rehe und Feldhamster des Wiener Zentralfriedhofs einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt - darüber hinaus gibt es auf den Friedhöfen aber noch weitaus mehr zu entdecken! Das belegen auch die über hundert Einsendungen begeisterter Friedhofsgeher:innen, die mit ihren Meldungen eine zentrale Säule dieses Citizen Science-Forschungsprojekts bilden. Damit BaF ein möglichst umfassendes Bild über die Artenvielfalt auf Friedhöfen erhält, ist das Team auf die rege Mithilfe der Bevölkerung in Form von Citizen Scientists angewiesen. Artkenntnis kann von Vorteil sein, ist aber für eine Beteiligung keine Voraussetzung. Genauere Informationen zur Mitwirkung finden Sie am Ende des Beitrags!

Silbergrüner Bläuling (Polyommatus coridon). Einsendungen von Citizen Scientists leisten einen wichtigen Beitrag zur Erfassung der Artenvielfalt.

Zu den am häufigsten beobachteten Arten auf den Friedhöfen gehören mit Sicherheit die Generalisten Nebelkrähe, Kohlmeise, Feuerwanze und Ringeltaube. Seit Beginn der Aufzeichnungen gibt es jedoch auch immer wieder biologische Highlights wie etwa Wiedehopf, Äskulapnatter, Zauneidechse oder Waldohreule zu verzeichnen.

Damit auch in das Geschehen abseits der Öffnungszeiten ein Einblick erhalten werden kann, sind auf ausgewählten Friedhöfen Wildkameras installiert. Auf Datenschutz wird Acht genommen und die Kameras sind so positioniert, dass Menschen nicht zu sehen sind. Die Kameras werden regelmäßig ausgewertet und zeigen so manche nachtaktiven und scheuen Arten, die auf den Friedhofsrundgängen sonst nicht erfasst werden würden. So wird eine noch umfassendere Aufzeichnung der tierischen Friedhofsbewohner ermöglicht.

In den frühen Morgenstunden nimmt die Wildkamera diesen Rotfuchs (Vulpes vulpes) auf.

Um den Friedhof als Lebensraum und Rückzugsort inmitten der Stadt attraktiv für eine Vielzahl an Arten zu gestalten, müssen alle Friedhofsnutzer:innen an einem Strang ziehen. So können im Sommer flache Trinkstellen für Insekten und Vögel eingerichtet werden, die Wege von Unrat gesäubert werden und anfallender Müll korrekt in die bereitgestellten Tonnen und Entsorgungsnischen sortiert werden.

Einen ganz persönlichen Beitrag zur Artenvielfalt am Friedhof kann jede:r Einzelne bei der Grabpflege anhand der folgenden vier Schritte leisten:

  1. Verwenden Sie heimische, standortgerechte und insektenfreundliche Arten für die Bepflanzung.
  2. Bevorzugen Sie wiederverwendbare oder kompostierbare Trauerkränze und Grabgebinde.
  3. Belassen Sie die Gräber möglichst unversiegelt und sehen Sie von Steinplatten oder Kieseleinstreuungen ab.
  4. Entscheiden Sie sich für (wiederbefüllbare) Grablichter aus Raps- oder Bienenwachs.
Naturbelassene Gräber werden von den Friedhofsbewohnern gerne angenommen.

Um bei BaF mitwirken zu können, gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Bei einer Sichtung von bekannten Tierarten können diese über das Stadtwildtiere-Meldungsportal eingetragen werden. Bei der Entdeckung einer Ihnen unbekannten Tierart, oder einer Sichtung von sämtlichen Tier- und Pflanzenarten, schicken Sie doch gerne eine Mail an baf.pal[@]univie.ac.at oder verwenden Sie alternativ das Beobachtungsformular. Das BaF-Team freut sich auf Fotos und Sichtungsberichte und hilft auch gerne bei Artbestimmungen!

Um immer am Ball zu bleiben, von neuen Sichtungen zu erfahren und spannende Fakten über die Friedhofsbewohner zu lernen, folgen Sie BaF doch gerne auf Facebook oder Instagram!

Verwendete Literatur

[1] Kasanko, M., Barredo, J.I., Lavalle, C., McCormick, N., Demicheli, L., Sagris, V., & Brezger, A. (2006). Are European cities becoming dispersed? A comparative analysis of 15 European urban areas. Landscape Urban Plan 77: 111–130.

 

[2] Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V. & Stiftung Naturschutz Berlin. (2004). Lebensraum Friedhof: Naturschutz auf Friedhöfen. Berlin: Stiftung Naturschutz Berlin.

 

[3] Naturschutzbund. (o.J.). Lebensraum Friedhof - Naturschutztipp des Naturschutzbundes. https://naturschutzbund-ooe.at/newsreader-533/items/lebensraum-friedhof-naturschutztipp-des-naturschutzbundes.html (12. September 2021).

Autoren: Thomas Filek und Marion Aichinger